Autonome selbstfahrende SchiffeZukunftsvisionen gibt es viele und viele davon sind bereits wahr geworden. Jeder technische Durchbruch begann bekanntlich mit einer Utopie, die zuerst belächelt wurde. Eines der großen Themen, die Seeleute und Schiffbauingenieure umtreiben ist die Idee vom selbstfahrenden autonomen Schiff. Bei Autos und kleinen Schiffen in sehr begrenzter Größe auf kurzen verkehrsarmen Routen geht das heute schon. In der Raumfahrt schon seit vielen Jahrzehnten. Warum nicht große Schiffe?

Das Einsparpotenzial wäre (einerseits) spektakulär:

  • Die Besatzungskosten würden gespart und damit auch ein großer Teil wie Ausbildungskosten, Verwaltungs-, Abrechnungsabteilungen, Reisekosten, …
  • Der komplette Aufbau für die Unterbringung und Versorgung der Besatzung würde wegfallen
  • Anlagen, deren Wartung, Reparaturen und Ersatzteile für die Crew würden wegfallen: Die gesamten Rettungseinrichtungen, Schiffsbrücke mit seiner Technik, Maschinenkontrollraum, Klimaanlage, Abwasseranlage und Kläranlage, Trinkwassererzeuger, Strom- und Heizenergie, und vieles mehr
  • Durch die Crew selbst anfallende Arbeitsstunden durch Selbstverwaltung würden wegfallen: Bürokratie wie Dokumentationen über Arbeitszeiten, Abfall-Management, Trainings, Zertifizierungen, Proviant-Management, Abrechnung, Inventuren, …
  • Wesentlich mehr Ladungskapazität entstünde durch wegfallenden Platzbedarf der Crew und den Umstand, dass die Sichtlinie von der Brücke nicht mehr eingehalten werden müsste
  • Auch das Risiko von Arbeitsunfällen und Verlust von Leben wäre beseitigt
  • Piraterie hätte keine Chance mehr, da es keine Geiseln mehr geben könnte

Autonome selbstfahrende SchiffeWas gegen den wirtschaftlichen Einsatz von Schiffen ohne Besatzung auf mittlerer oder großer Fahrt spricht

  • Schiffe operieren fernab und können bei Ausfällen oftmals sehr schwer erreicht werden, was enorm lange Betriebsverzögerungen und immense Kosten verursachen würde
  • Alle Maschinen und Anlagen müssten in mindestens zweifacher (redundanter) Ausführung an Bord sein, um Ausfälle automatisch oder aus der Ferne durch die Zuschaltung des Ersatzes zu verhindern – bedeutet doppelte Kosten bei den vital wichtigen Antriebs- und Steuerungseinrichtungen. Mindestens vierfache Redundanzen oder Kosten für Kommunikations-, Netzwerk-, Regelungs- und Überwachungstechnik
  • Letztlich müssen die Maschinen und Anlagen an Bord dennoch gewartet werden – diese sind aber nun doppelt vorhanden und bedeuten somit mehr Aufwand bzw. Personal, wenn das Schiff überholt wird
  • Tausende Teile, die wartungsintensiver sind bzw. kurze Wartungsintervalle haben, müssten neu entworfen, mit neuer Materialtechnik hergestellt und/oder besser automatisiert werden
  • Hochqualifiziertes teures Personal wäre nötig, um die Schiffe aus der Ferne zu steuern, regeln und zu überwachen, wobei erfahrene Seeleute in Form von Nautikern und Ingenieuren weiterhin benötigt würden
  • Anfallende Bürokratie wie Ladungspapiere und Einklarierungen könnten nicht mehr vor Ort zusammen mit den Hafenbehörden gemacht werden und sind dann evtl. bei weniger entwickelten Ländern geradezu unmöglich. Gleiches bei Schiffskontrollen durch Flaggenstaaten der Häfen. Es müssten Mitarbeiter in den Häfen vor Ort sein. Auch, um den fachgerechten Umgang mit der Ladung und dem Schiff im Hafen und während des Umschlags sicherzustellen (Ladungswache, Zugangskontrolle/ISPS).
  • Nicht zuletzt steht die Sicherheit und Leichtigkeit des Seeverkehrs in Frage.
    Alles, was zu einem Betriebsausfall führen kann, stellt diese Sicherheit in Frage:
    • Der Mensch selbst ist der beste Sensor für Brände, auslaufende Stoffe oder Ladungen, aber auch für ungewöhnliche Geräuschentwicklungen, Gerüche, Vibrationen oder andere Beobachtungen, die nötig sind, um Schäden und Folgeschäden am Schiff, Maschinen oder Anlagen frühzeitig zu erkennen. In schwerer See ist es unerlässlich, richtig zu fühlen, wie ein Schiff giert, rollt, stampf, sich hebt und senkt, um intuitiv und richtig auf diese Hydrodynamik zu reagieren. Dieser „Blick für das Gesamte“ (Wetterentwicklung, Seegang, Schiffsbewegungen, Ladungssicherheit, etc.) wird virtuell so nicht replizierbar sein in naher Zukunft.
    • Erfahrung kommt von Fahren: Nur wer selbst vor Ort war, kann beispielsweise besondere Wetterereignisse, Fischerboote-Aufkommen und viele andere Informationen wirklich gut verinnerlichen und darauf basierend gelegentlich auch auf ein wichtiges „Bauchgefühl“ hören.
    • Erfahrung spielt in besonderem Maße auch im Maschinenbetrieb eine Rolle, wenn es um bestimmte Tücken mancher Aggregate oder einzelner Anlagenteile geht, die man nur kennen kann, wenn man längere Zeit einen festgelegten Verantwortungsbereich festgelegt bekommen hat. Landservices (Hersteller) würden viel häufiger zur Empfehlung einer kompletten Instandsetzung (Austausch) kommen – und wären somit teurer und weniger hilfreich.
    • Autonome Schiffe können sich durch Reparatur weder selbst retten, noch andere, die sich in Seenot befinden.

Ergo / Fazit:

In absehbarer Zeit sind autonome Schiffe, die auf mittlerer oder großer Fahrt bzw. offener See operieren in keinem Fall wirtschaftlich und zu Risiko-behaftet. Es müssten zuvor völlig neue Antriebstechnologien entworfen werden, die wesentlich wartungsärmer sind und möglichst wenig Begleitaggregate benötigen. Die Werkstofftechnik müsste ebenfalls noch stark voranschreiten. Zusätzlich könnten 4D-Druck-Verfahren, die Möglichkeit liefern, dass Ersatzteile an Bord selbst produziert (3D) und sich zusammensetzen können (4D). Drohnen könnte kompliziertere Ersatzteile liefern, Roboter das Handwerk erledigen. Es ist alles bereits erfunden worden, doch jedes für sich noch zu sehr in den Kinderschuhen – und im Gesamten eben noch lange nicht wirtschaftlich.

 

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