Begriff: PROBABILISTISCHE RECHNUNG

Ein völlig anderer, in den 60ern entwickelter und 1992 in Kraft getretener, neuerer Ansatz zur Leckstabilität ist das probabilistische Konzept . Das Wort drückt bereits aus, dass es hier u.a. um die Berechnung von Wahrscheinlichkeiten geht, wobei nur wenige deterministische Elemente genügen, um die Rechnung praktikabel zu machen.

Anwendung

Anwendung findet dieses Rechenverfahren auf
– Frachtschiffe, die am oder nach dem 1. Februar 1992 gebaut wurden und größer als 100m Ls sind
– Frachtschiffe, die am oder nach dem 1. Juli 1998 gebaut wurden und zwischen 80m bis100m Ls groß sind
– Passagierschiffe , alternativ zum deterministischen Verfahren
Schiffe, die nachgewiesenermaßen den Regeln der MARPOL 73/88, dem IBC-/BCH-/IGC-/GC-Code, den IMO Entschlüssen A.469(XIII), A.534(13) oder den ILLC 66/88 entsprechen, können von den Regeln des probabilistischen Verfahrens der SOLAS 74/88 ausgenommen werden.

Gründe für die Entwicklung der Probabilistik

Das deterministische Verfahren wurde entwickelt und wird weiterhin angewendet, da die Beurteilung der Leckstabilität z.B. stark vom Schiffstyp und der Gefährlichkeit der Ladung abhängt, bei dem die Probabilistik keine Unterschiede kennt. Darüber hinaus basieren viele Konstanten und Beiwerte aus dem probabilistischen Verfahren auf Auswertungen vergangener Schiffsunfälle von häufigen und dadurch vergleichbaren Schiffstypen, die man bei selteneren Schifftypen bisher noch nicht besitzt und somit deterministisch gerechnet werden muss. Zurzeit findet das probabilistische Verfahren auch keine Anwendung auf Passagierschiffe, da die Evakuierung von Passagieren durch die zulässige Schlagseite von 25° nicht sicher durchgeführt werden kann.
Das probabilistische Verfahren rechnet also mit empirisch erfassten Werten. Damit muss der Schaden am Schiffkörper nicht so genau bekannt sein, um zu einer Beurteilung der Leckstabilität im Leckfall zu gelangen. Dieser Vorteil ist groß, da in den meisten Fällen das Hauptproblem zunächst darin besteht, den Schaden zu determinieren. Während es im deterministischen Verfahren in erster Linie nur um die Einhaltung bestimmter Mindestkriterien geht, beurteilt man im probabilistischen noch die sog. Überlebenswahrscheinlichkeit des Schiffes. Durch eine Vielzahl an aufgetretenen Leckfällen konnte man beweisen, dass deren Ausgänge nach bestimmten Unterscheidungsschemata gut verglichen und ausgewertet werden konnten und man so zu einem genaueren Rechenverfahren kam.

Leckrechnung durch Statistiken

Um zu einer wirklichkeitsnahen Beurteilung für das Überleben von leckgeschlagenen Schiffen zu kommen, hat man sich darauf verständigt, eine Statistik über Leckgröße und -lage anhand von Schiffsunfällen aufzustellen. Um eine möglichst genau angenäherte statistische Wahrscheinlichkeit mit diesen Vergleichen zu erhalten, wurde das EU-Forschungsvorhaben HARDER (Harmonisation of Rules and Design Rational) gegründet. Dieses Projekt hat sich darauf spezialisiert, Daten von vielen leckgeschlagenen Schiffen in einem Pool zu sammeln, um damit empirische Feststellungen in Bezug auf Überlebenswahrscheinlichkeiten für verschiedene Fälle zu treffen. Dabei wurden von der IMO und mehreren Klassifikationsgesellschaften bisher über 2900 Schiffsunfälle registriert und nach Schiffstyp, -länge, -bau, Ladung, Schadenart, Schadensursache, Wetter und einigen anderen Kriterien so geordnet, dass beste Vergleiche möglich sind. Auf diese Weise wurden für die verschiedenen Fälle Konstanten und Beiwerte errechnet, die vor allem in den probabilistischen Formeln vorkommen.

Grundforderung A ≥ R

Das probabilistische Verfahren basiert auf der Berechnung der Wahrscheinlichkeit, ob ein Schiff nach einem Leckschlagen überlebt, also dieses übersteht. Ob ein Schiff einen bestimmten Leckfall überlebt, hängt von einigen Fixwerten aber auch von zufälligen Eigenschaften ab, wie dem Anfangstiefgang, der Anfangsstabilität GM, der Flutbarkeit des betroffenen Raumes sowie den Wetterbedingungen. Zur Berechnung des verbleibenden Sicherheitsniveaus nach dem Leckschlagen werden alle möglichen beliebigen Lagen und Ausdehnungen des Schadens betrachtet. Die IMO hat dazu anhand der Leckstatistiken Formeln abgeleitet, in denen die Schadenserstreckung in Längs-, Quer- und vertikaler Richtung ebenfalls eingegeben werden können. Leckfälle, bei denen das Schiff seine positive Endschwimmlage und ausreichende Stabilität beibehält, werden mit einem Faktor bewertet, der in die zu berechnende Überlebenswahrscheinlichkeit einfließt. Andere Fälle, bei denen dies nicht der Fall ist, fließen nicht ein. Diese Überlebenswahrscheinlichkeit nennt sich der erreichte Unterteilungsgrad A (engl. attained subdivision index A).

Um der Frage zu begegnen, welches A als sicher erachtet werden kann, gibt es einen weiteren Unterteilungsgrad, der sich mit dem minimal einzuhaltenden Sicherheitsniveau beschreiben lässt. Dieser heißt geforderter Unterteilungsgrad R (engl. required subdivision index R). Der Begriff Unterteilungsgrad beschreibt dabei generell, wie sehr das Schiff in Längsrichtung mit wasserdichten Unterteilungen versehen ist. Also wird hier rechnerisch beurteilt, ob die Unterteilung eines Schiffes genügt, um einen gewissen Leckfall zu überstehen.

So muss der erreichte Unterteilungsgrad A größer sein als der geforderte Unterteilungsgrad R bzw. die Überlebenswahrscheinlichkeit/das verbleibende Sicherheitsniveau A größer als das minimale Sicherheitsniveau R dieser Schiffsgröße.

A ≥ R

Je größer A relativ zu R, desto sicherer das Schiff im Leckfall.